Das Geschenk

Einst besuchte ein fremdes Wesen namens Theuth den ägyptischen König Thamus.
Theuth stellte sich als Erfinder vielerlei Dinge vor, wie etwa den Zahlen, Buchstaben, der Geometrie, Astronomie usw. und bot dem König ein einzigartiges Geschenk an.
Das Geschenk der Schrift.
So führte Theuth dem König seine Schrift vor und empfahl ihm diese im ganzen Lande zu verbreiten, damit jeder von ihr profitieren kann.
Der König Thamus betrachtete dieses Geschenk ein wenig skeptisch und fragte, welchen Zweck dieses Geschenk dient und weshalb er es innerhalb seines Landes verbreiten solle.
Theuth erklärte dem König, dass das Volk mit Hilfe dieser Schrift klüger werden und ihr Gedächtnis verbessern können.
Seine Erfindung diene dem Wissen, sowie dem Gedächtnis.
König Thamus hingegen schien es anders zu betrachten. So erläuterte er, das die Schrift keinesfalls das Gedächtnis verbessern könnte, sondern das Gegenteil eintreten würde.
Die Schrift würde dafür sorgen, dass das Volk vergesslich wird, weil sie ihren Verstand nicht mehr verwenden würden.
Sie würden anstelle darüber nachzudenken, nur noch alles nachlesen.
Sie würden sich von außen durch fremde Zeichen leiten lassen, nicht aber durch ihr inneres Vertrauen.
Theuth erklärte dem König, das man mit Hilfe der Schrift Wissen viel einfacher verbreiten könne, doch der König erwiderte nur, das es nur den Schein von Wissen vermittelt.
Weil die Menschen ohne das Medium der Sprache, ohne die Erklärung eines anderen sich einbilden werden vieles zu verstehen, obgleich sie nichts verstehen,
so wird auch der Umgang mit jenen Menschen schwierig, weil sie dadurch überzeugt sind klug zu sein, ohne es zu sein.
So lehnte der König Thamus das Geschenk der Schrift von Theuth ab, denn in seinen Augen macht die Schrift den Menschen nicht automatisch klug.
So würde jeder nur noch das nachlesen, was andere geschrieben haben, ohne selbst zu den Erkenntnissen zu gelangen.
Jene Menschen würden so tun, als wüssten sie etwas, ohne es je wirklich verstanden zu haben.

Doch ist nun die Frage, auf welche Art und Weise schadet die Schrift? Oder ist sie gänzlich frei vom Schaden?

Betrachten wir einmal bestimmte Situationen, diverse Ereignisse innerhalb der Geschichte der Menscheit, so gab es bereits viele Schriften, welche zwar gelesen,
aber nicht verstanden wurden.
Weil immer auf ein äußeres Wunder gewartet wurde, weil immer im Außen nach der Verantwortung gesucht wurde für etwas, anstelle im inneren.
So lässt sich durchaus folgendes schlußfolgern.
Wenn jemand etwas schriftlich äußert, dann steht diese Äußerung für sich selbst, nicht aber die Erkenntnis dieser Äußerung und was den Verfasser zu dieser Äußerung gebracht hat, welche Erkenntnisse der Verfasser damit niederschreiben möchte, und wie der Verfasser es auch betrachtet.
Es fehlt schlichtweg eine Erklärung zur Äußerung des Verfassers und ohne diese Erklärung wird die Äußerung nicht immer so verstanden werden können, wie der Verfasser es auch tatsächlich gemeint hat.
Warum ist das so?
Nun, ganz einfach.
Jeder Mensch, jedes Wesen hat einen eigenen, persönlichen, individuellen Blickwinkel auf seine eigene Welt.
Jeder dieser Wesen hat eigene Erfahrungen, eigene Betrachtungsweisen, eigene Definitionen von allen Dingen, so wird eine Aussage auf verschiedene Arten und Weisen betrachtet werden können.
Ist dieser Zustand falsch? Keineswegs.
Wird die Botschaft, oder die Aussage wirklich dadurch verstanden? Nicht immer bzw. nur Teilweise.

Um das mit Hilfe eines Beispieles zu erläutern, so sagte Sokrates einst „Ich weiß, das ich nichts weiß.“
Der leser dieser Aussage wird es vielleicht als weise Worte betrachten und vielleicht sogar denken, das man verglichen mit dem Wissen, was es gibt verhältnismäßig wenig weiß, so dass das was man weiß nichts ist im Vergleich zum Wissen in seiner Gesamtheit.

„Ich weiß, das ich nichts weiß“.
Wer mich persönlich fragt, dem antworte ich, das ich alles weiß, was ich wissen muss, wann ich es wissen muss. Das, was ich nicht weiß ist für mich in dem Moment nicht relevant.
Betrachtet man diese Aussage mit der von Sokrates, so könnte sie verschiedener nicht sein und scheint im ersten Moment im Gegensatz zueinander stehen.
Einer gibt zu nichts zu wissen, während ein anderer scheinbar die Weisheit mit Löffeln gegessen hat?
Doch was geschieht, wenn man beide Aussagen etwas eingehender betrachtet?
„Ich weiß, das ich nichts weiß“ sagt in dem Sinne keinesfalls aus gar nichts zu wissen, sondern das man etwas weiß.
In diesem Sinne ist das Nichts das Etwas, was man weiß. Würde man gar nichts wissen, woher weiß man dann, das man nichts weiß?
So ist das nicht Wissen in dem Moment das Wissen des Nicht-Wissens, so wird das Nicht Wissen zum Gegenstand des Wissens und übrig bleibt „Ich weiß“, oder „Ich weiß, das ich weiß“, oder „Ich weiß, was ich weiß“.
Wie sehr unterscheidet sich die Aussage von Sokrates inhaltlich nun von der Ausage alles zu wissen, was man wissen muss, wann man es wissen muss?
Genau genommen unterscheiden sich die Aussagen lediglich von ihrer Wortwahl voneinander, nicht jedoch inhaltlich.
Wäre man durch einfaches lesen, ohne es tiefer zu betrachten, ohne darüber nachzudenken gar auf diese Erkenntnis gekommen? Oder hätte man beide Aussagen immer als etwas gegensätzliches betrachtet?
Das zeigt, wie der Blickwinkel und die eigene Definition von allem auf eine Aussage bestimmt, was man selbst darunter versteht, oder verstehen möchte.
So ist keine der beiden Aussagen falsch, obwohl sie oberflächlich betrachtet im ersten Moment als etwas gegensätzliches erscheinen.
Ob man eine Aussage nun versteht, oder nicht versteht, liegt in der eigenen Verantwortung jene Aussagen nicht einfach so zu übernehmen, sondern sie immer tiefgehend zu betrachten, selbst darüber nachzudenken und zu eigenen Erkenntnissen über Aussagen zu kommen.

Die Schrift ist nichts anderes als ein Werkzeug, ein Medium. Gleich auch wie Bilder, oder die Sprache.
Ob man eine Aussage, ob in Form von Schrift, Zahlen, Bildern, oder Worten versteht, oder nicht hängt am Ende immer von einem selber ab, die eigene Bereitschaft nicht einfach auf das, was man erfährt zu reagieren, nicht einfach zu antworten, sondern sich immer genügend Momente für sich zu nehmen, um Aussagen eingehend betrachten zu können, um sie tatsächlich auch verstehen zu können.
Denn wenn man reagiert, oder antwortet, ohne über die Bedeutung der Aussage nachzudenken, wird man ein Gespräch führen, wo sich keiner je verstehen kann.
Gleiches gilt auch für die Aussagen, die man selbst trifft, wie auch die Antworten. Hat man genügend darüber nachgedacht, lässt sich eine Aussage einfacher treffen, gleiches gilt auch während eines Gespräches mit unseren Mitmenschen.
Möchte man wirkliches Verständnis, so wird ein Gespräch selten Aussagen und mehr Fragen beinhalten.
Denn wie ließe sich Verständnis für die Aussage unseres Gegenübers schaffen, ohne zu hinterfragen, ob man die Aussage richtig verstanden hat?

Grundsätzlich sind jene Medien nichts schlechtes, sie dienen zum einem lediglich dem Ausdruck der Schöpfung, zum anderen dienen sie der Trennung
Auch Trennung ist in diesem Zusammenhang nicht negativ zu betrachten, sondern neutral.
Die Ursprache verlief keinesfalls über Bilder, Zahlen, Buchstaben oder Sprachen, nein, die Urform war Telempathie.
Es ist eine unmißverständliche Verständigung, welche weder Zahlen, noch Buchstaben oder irgendwelche anderen Medien bedarf.
Man wusste, ohne Worte was uns unser Gegenüber vermittelt, weil man gleich denkt, gleich empfindet.
Wenn zwei sich liebende Menschen einander berühren, bedarf es keiner Worte, damit beide verstehen, was sie füreinander empfinden. Bei der Sprache erschuf man sich ein Medium, durch das man versucht das, was man empfindet verbal auszudrücken.
Gleiches gilt für die Schrift, oder Bildersprache.
Doch weil die Wahrnehmung einer Empfindung bei vielen Menschen anders ist, wird sie jeweils unterschiedlich zum Ausdruck kommen bzw. unterschiedlich beschrieben werden.
Und obwohl jeder ein Empfinden auf unterschiedliche Art und Weise ausdrücken kann, so bleibt die Empfindung stehts Einheitlich

Wenn man sich nun dazu entscheidet ein Medium zum Ausdruck der eigenen Gedanken und Empfindungen zu nutzen, geht es nicht darum herauszufinden welche Aussage richtig und welche falsch ist, sondern darum die Verantwortung für das, was man aussagt, wie auch die Verantwortung für das, was man versteht zu übernehmen.
Weil kein Mensch, kein Wesen sich in dem Sinne falsch oder mißverständlich ausdrückt, sondern jedes Wesen seine eigene Form des Ausdrucks nutzt, basierend auf den persönlichen, individuellen Eindrücken, Erfahrungen, Definitionen und Betrachtungsweisen.

2 Gedanken zu „Das Geschenk“

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